Sperrklausel – Das Leiden des Rates

Die ganz große Koalition aus CDU, SPD und den Grünen im Landtag NRW, möchte die Verfassung ändern und wieder eine kommunale Sperrklausel einführen: https://www.spd-fraktion-nrw.de/news/wir_schuetzen_die_kommunale_demokratie.html

Unsere Landtagsfraktion wird selbstverständlich dagegen klagen: http://www.piratenfraktion-nrw.de/2015/09/wir-klagen-gegen-die-sperrklausel/

Bereits in der letzten Sitzung des Stadtrates am 17.09.2015 stellten wir folgende Anfrage an den Oberbürgermeister: anwendungen.bielefeld.de/bi/getfile.asp?id=552998&type=do

Im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, wir bitten Sie um die Beantwortung der folgenden Anfrage:

Welche der 15 Fragen des Gutachters Bogumil im Rahmen der Studie „Auswirkungen der Aufhe-bung der kommunalen Sperrklausel auf das kommunalpolitische Entscheidungssystem in Nordrhein-Westfalen“, die von der SPD-Landtagsfraktion finanziert wurde, haben Sie wie und auf welcher Datenbasis beantwortet (falls Sie diese beantwortet haben)?

Begründung: 

In den vergangenen Wochen und Monaten ist es zum wiederholten Male zu Diskussionen über die Einführung einer Sperrklausel bei Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen gekommen. Presse-berichten zufolge planen die Landtagsfraktionen der SPD, CDU und Grünen die Einbringung eines Gesetzesentwurfes nach der Sommerpause. Begründet wird dies unter anderem damit, dass Stadträte und Kreistage angeblich durch Mandate, Fraktionen und Gruppen kleinerer Parteien und Wählervereinigungen in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt werden.

Am 21. Mai veröffentlichte die Ruhr-Universität Bochum ein „wissenschaftliches Gutachten“ http://aktuell.ruhr-uni-bochum.de/mam/content/gutachten_bogumil.pdf, welches im Auftrag der SPD Landtagsfraktion NRW erstellt wurde. In diesem Gutachten wurden die (Ober-)BürgermeisterInnen aller Städte und Gemeinden über 25.000 Einwohner sowie die Landrätinnen und Landräte aller Kreise Nordrhein-Westfalens im Zeitraum von Januar bis März 2015 befragt. Da somit auch Sie in ihrer Funktion als OB der Stadt Bielefeld befragt wurden, halten wir eine Information an den Rat für angebracht.

AntwortOB

Meine Stellungnahme im Rat dazu (Leider habe ich nur 6 Minuten Redezeit):

„Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste hier im Saal!

„Wenn man einen Sumpf austrocknen will, lässt man nicht die Frösche darüber abstimmen.“

Diese sogenannte „wissenschaftliche“ Studie, in Auftrag gegeben von der Landtagsfraktion der SPD und verfasst von einem Grünen, die dazu beitragen soll, eine Änderung der Verfassung mit dem Ziel der Einführung einer Sperrklausel auf kommunaler Ebene zu rechtfertigen, ist ein Witz. Sollten Sie – die in diesem Fall ganz große Koalition der willigen Alten aus SPD, CDU und Grünen – diese Studie ernsthaft benutzen wollen: viel Erfolg und alles Gute auf ihrem weiteren beruflichen und politischen Lebensweg. Wir melden uns bei Ihnen.

SPD und CDU Oberbürgermeister und Landräte zu befragen, ob sie lieber auf die kleineren Parteien verzichten würden ist großartige Satire, aber nicht ernst zu nehmen.Es wurden Suggestivfragen gestellt, subjektive Einschätzungen abgefragt und der Kreis der Befragten ist ein Hohn für jeden Wissenschaftler.

Wozu soll eine Sperrklausel eingeführt werden? Angeblich leiden die Räte!

Die Sitzungen dauern länger, es werden mehr Geschäftsordnungsanträge gestellt. Na und? Liebe Kolleginnen und Kollegen: wir treffen uns hier nur 8-9 mal im Jahr. Wer es nicht aushält, hier ein paar Stunden zu sitzen und möglicherweise auch eine Stunde länger als 1970, der hätte sich nicht wählen lassen sollen. Das ist larmoyantes Weicheiertum.

„Die Bereitschaft zum Konsens ist [mit vielen Gruppierungen und Parteien] in Sachfragen niedriger ausgeprägt“ heißt es in der Studie. Hier in Bielefeld haben wir erlebt, dass gerade eine große Partei, namentlich die CDU, nicht konsensfähig ist, sonst hätten wir eine große Koalition gehabt, wir „kleinen“ mussten die Arbeitsfähigkeit herstellen.

Was steckt denn wirklich dahinter?

Die großen alten Parteien, SPD, CDU und Grüne möchten die kleinen jungen rausdrängen. Sie mögen am liebsten unter sich sein.

In den 70ern kamen auf CDU und SPD auf kommunaler Ebene zusammen deutlich über 90% der Stimmen. Das ist ein Fall für das Kartellamt. Das Kartellamt ist in diesem Fall der Souverän, das Volk. Das Volk hat sich angeguckt, was die großen Parteien machen und haben sich von ihnen abgewendet. Mit Recht. Die SPD hat das Soziale doch hauptsächlich noch im Namen (ich verweise auf Hartz 4, den Rest spare ich mir), wofür genau die CDU steht, weiß keiner so genau, vielleicht irgendwas mit Wirtschaftsfreundlichkeit und Umweltfeindlichkeit? „Die Grünen von 1980 würden gegen die Politik der Grünen von 2015 auf die Straße gehen.“ -> Zitat von Jörg Rupp (Grüne)

Es wird im Rahmen der Sperrklauseldebatte mit Politikverdrossenheit argumentiert. Glauben Sie ernsthaft, dass sie Politikverdrossenheit durch eine Sperrklausel abbauen können? Bei der letzten Bundestagswahl wurden 15% der abgegebenen Stimmen nicht berücksichtigt, weil diese an der Sperrklausel scheiterten. Glauben Sie ernsthaft, dass diese 15% (im Übrigen bei einer Wahlbeteiligung von nur 70%) erfreut über ihre Nichtberücksichtigung sind? Dass die in Zukunft SPD, CDU oder Grüne wählen?

Ja, es gibt manchmal Probleme mit einzelnen Parteien, Gruppierungen und Einzelvertretern. Manche sind tatsächlich nicht arbeitsfähig oder –willig. Manchmal sind echte Nazis dabei. Das alles ist aber nichts, was man nicht durch eine angepasste Geschäftsordnung oder möglicherweise sogar ein Parteienverbot hinbiegen könnte.

Sehen Sie lieber die positiven Möglichkeiten, die durch kleine Parteien und Gruppen auftreten können. Vieles von dem, was diese fordern, finden sie auch nicht schlecht. Konkretes Beispiel: Die Grünen haben hier in Bielefeld dank Matthi Bolte ein umfangreiches Digitalprogramm aufgestellt. Und? Was passierte? Nichts, weil das Thema nicht im Fokus ist. In dem Fall sind wir die „in den Hintern Treter“ gewesen und das ist gut für alle Seiten.

Sie möchten durch eine Verfassungsänderung eine Allgemeingültigkeit herstellen, die es so nicht gibt. „Handele stets so, dass Deine Maxime als allgemeingültiges Gesetz formuliert werden könnte“. Nehmen Sie sich den kategorischen Imperativ zum Vorbild.

Ich mag hier auch viele nicht, deshalb will ich ihnen trotzdem nicht verwehren, auch gewisse Interessen vertreten zu dürfen. Das ist ungerecht und als Sportler sage ich, das ist unsportlich und schwach. Lassen Sie das. Machen Sie bessere Politik. Wir kleinen machen Politik aus Notwehr.“

Hier noch ein Statement von Torsten Sommer, MdL für die Piratenpartei im Landtag NRW, dazu: https://www.torsten-sommer.de/politische-geisterfahrer/

Politik_Gestalten

2 Gedanken zu “Sperrklausel – Das Leiden des Rates

  1. Guter Einsatz, gute Rede.

    Noch wesentliche Aspekte, die meiner Meinung nach hier fehlen:

    Es besteht die Gefahr, dass man extreme und skurile Gruppierungen und Parteien wieder ignoriert anstatt dass man sie inhaltich – vor allem für die Wähler sichtbar – entlarvt. Das ist anstrengend und teilweise auch nicht ungefährlich, aber der einzige Weg, Rechtsextremismus, Fanatismus und Verschwörungstheoretikern die Stirn zu bieten.

    Es besteht die Gefahr, dass man die zersplitterte rechte Szene eint. Im Rat der Stadt Dortmund sitzen 3 rechte Parteien ohne Fraktionsstärke. Was wäre, wenn nur eine davon, aber mit dem Stimmenanteil der anderen drinnen säße? DAS wäre eine Katastrophe!

    Eine Demokratie muss auch Spinner aushalten.

    Auch KLEINE MINDERHEITEN und BÜRGERVEREINIGUNGEN sollen das Recht haben, ihre Interessen vertreten zu können! Waren SPD + Grüne nicht immer für Minderheitenrechte???

    Hürden und Sperrklauseln sind Demokratiehürden!

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar