Austritt aus der Piratenpartei

Ultrakurzfassung:

  • Ich bin jetzt parteilos. Sonst ändert sich nichts.

Kurzfassung:

  • Ich bin aus der Piratenpartei ausgetreten
  • Ich bleibe Mitglied des Stadtrates
  • Die Ratsgruppe Bürgernähe/PIRATEN bleibt bestehen
  • Ich werde weiter das Wahlprogramm 2014 der Bielefelder Piraten als Grundlage meines Handelns verwenden
  • Der Paprika-Koalitionsvertrag und somit auch die Paprika-Koalition bleibt unverändert bestehen

Langfassung:

Zum Jahresbeginn bin ich aus der Piratenpartei ausgetreten. Dass ich das nicht eher öffentlich machte, hängt mit einer familiären Situation zusammen und ich bitte um Nachsicht. Der Vorstand und die aktiven Mitglieder der Piratenpartei wurden bereits von mir informiert. Die Ratsgruppe wurde bereits von mir informiert. Die MitstreiterInnen in der Paprikakoalition wurden bereits von mir informiert.

In der Kurzfassung erklärte ich die faktischen Auswirkungen: Praktisch keine.

Warum bleibe ich Mitglied des Stadtrates und gebe das Mandat nicht an Nachrücker ab? Weil niemand von den nächsten ListenkandidatInnen dieses zeitlich durchaus fordernde ehrenamtliche Mandat übernehmen kann oder will und weil ich weiterhin mit Spaß und Leidenschaft dabei sein will und werde.

Warum bleibt der Name  „Ratsgruppe Bürgernähe/PIRATEN“ bestehen“? Weil es derzeit keine Veranlassung gibt, den Namen zu ändern. Es sind weiterhin Mitglieder der Piratenpartei Bielefeld als sachkundige BürgerInnen in den Ausschüssen vertreten.

Wahlprogramm: Dafür wurden wir und somit auch ich gewählt. Es ist weiterhin sehr gut und eine sehr gute Grundlage für das politische Handeln.

Paprika-Koalition:  Wir haben einen hervorragenden Koalitionsvertrag ausgehandelt. Wir haben eine hervorragende Zusammenarbeit. Es gibt keinerlei Anlass, die Koalition in Frage zu stellen.

Warum bin ich ausgetreten? Hier meine ausdrücklich persönlichen Ansichten, Einschätzungen und Beweggründe:

Die Piratenpartei ist faktisch tot. Seit 2013 gehen die Wahlergebnisse nur in eine Richtung: Nach unten. Bei der Bundestagswahl 2017 konnte die Partei nur noch weniger als 0,4% der Stimmen für sich gewinnen. Das ist nicht nur ein Stimmenverlust, der möglicherweise irgendwann aufgefangen werden könnte, das ist eine Marginalisierung bis hin zur kompletten Irrelevanz.

Programmatisch war die Partei einmal Avantgarde, auch deshalb bin ich 2011 eingetreten. Sie ist es seit langem nicht mehr. Die Wichtigkeit der Digitalisierung ist mittlerweile überall angekommen. Andere Themen wie „Fahrscheinfreier/umlagefinanzierter ÖPNV“ oder „Bedingungsloses Grundeinkommen“ werden überall diskutiert und verhandelt. Wo sind heute die Themen der Partei, die 2028 von den anderen Parteien aufgegriffen werden?

Die von der Partei oft so geschmähten aber in der Politik so wichtigen „Köpfe“ gibt es auch nicht mehr. Die Partei hat einen Brain-Drain sondergleichen erlebt, der nicht aufzufangen ist. Eine Partei, die politisch relevant sein will, braucht fähige Menschen, die relevante Ideen haben und diese kommunizieren können. Marina Weisband, Katharina Nocun, Martin Delius, Johannes Ponader oder Christopher Lauer, um nur einige wenige zu nennen: Die muss man nicht alle mögen. Sie alle waren aber relevant und sind nicht mehr in der Partei. Wer ist jetzt relevant in der Partei?

Zum Zeitpunkt meines Eintritts war die Partei positiv progressiv eingestellt. Sie hat sich weniger an anderen abgearbeitet, sondern vielmehr die eigenen Ideen nach vorne getragen. In den letzten Jahren gab es meiner Auffassung nach viel zu viel „dagegen“. (Negativer) Höhepunkt des Ganzen war die Kampagne #KrankesSystem, in dem – sicherlich inhaltlich zum Teil berechtigt und mit richtiger Intention – viel zu vereinfacht und destruktiv Strukturen angegriffen wurden, ohne ein konstruktiv-positives Gegenbild zu präsentieren.

Es wurden Ansprüche und Mythen aufgebaut, die nicht erfüllt werden konnten, wie zum Beispiel die digitale Basisdemokratie und Partizipation. Möglicherweise notwendige Änderungen wurden nicht veranlasst, die reine Lehre, das Dogma, war den meisten wichtiger.

Weitere „ Randnotizen“: Die ewige Tooldiskussion, die zuweilen elitär geführt wurde. Der innerparteiliche menschliche Umgang miteinander (der zugegebenermaßen in anderen Parteien auch nicht viel besser ist). Der mangelnde Wille zur Gleichstellung von Frauen (Die Piratenpartei ist ein Männerverein – Die Proklamation „Postgender“ sein zu wollen, ist keine Gleichstellung, es ist hier eine Ausrede). Der völlige Unwille, Regierungsverantwortung auch nur erwägen oder anstreben zu können.

Die Zahl der Mitglieder geht nach den Höchstständen 2012 nur noch abwärts, damit gibt es auch weniger aktive Mitglieder. Wann ist eine Partei noch eine Partei?

In Bielefeld hat die Partei vielleicht noch 8 politisch aktive Mitglieder (von ca. 50 auf dem Papier). Diese Menschen sind uneingeschränkt toll und ich arbeite weiter gerne mit diesen zusammen im Ratskontext. Das als Partei zu bezeichnen halte ich allerdings ehrlich gesagt für vermessen.

Ich glaube nicht mehr an diese Partei. Sie ist nur noch ein Zombie.

Würde ich zum jetzigen Zeitpunkt in die Partei eintreten? Bereits seit längerem konnte ich diese Frage nicht mit „ja“ beantworten. Jetzt habe ich auch nicht mehr den Willen, dabei zu bleiben.

Das alles klingt jetzt sehr negativ, aber es geht hier ja nun auch um meine Gründe für den Austritt, die natürlich nicht voller Jubel sein können. Zur Begründung meiner Mitgliedschaft schrieb ich im Rahmen einer Kandidatur (und seinerzeit stimmte das auch): „Warum Piraten? Die Piraten sind 2011 für mich politische Heimat geworden, weil sie die fantastischen Möglichkeiten des Internets nicht nur kennen, sondern nativ leben. Weil sie eine Herausforderung für jeden sind, der aktiv gestalten will. Weil sie Dinge und Positionen in Frage stellen und konstruktiv neue Wege eröffnen. Vorher war ich nie Mitglied einer politischen Partei, aber nicht unpolitisch.

Schade drum, die Piratenpartei war ein tolles Projekt. Ich bereue nichts und bin dankbar für alle Erfahrungen, Möglichkeiten und Erfolge. Ich gehe nicht im Zorn, sondern mit Bedauern.

Und jetzt machen wir mit der Ratsgruppe und der Paprikakoalition einfach weiter gute Politik für und mit den BielefelderInnen bis 2020.

Es gibt viel zu tun: Bielefeld ist mittlerweile wieder eine wachsende Stadt. Wir arbeiten im Rahmen der Stadtentwicklung an der menschengerechten Verkehrs- und Energiewende, die Aufgaben der Digitalisierung haben erst begonnen, sozialpolitisch kümmern wir uns um die Schwächsten, wir bleiben an der Integration der Geflüchteten dran, der Tierschutz wird mehr in den Fokus rücken, kulturpolitisch denken wir nicht nur an die „Hochkultur“ und die Schullandschaft bedarf einer permanenten Aufmerksamkeit.

Keep reaching for that rainbow!

Stimmkarten

Michael_Gugat__Fotografin_Noa_Laurin

8 Gedanken zu “Austritt aus der Piratenpartei

  1. Wenn man, so wie du, die Parteimitgliedschaft an anderen Personen festmacht, wird man denen auch ins politische Nirvana folgen müssen. Einen Glaubensgrund, für deinen Austritt, kann ich nicht erkennen. Lass es mich mit Teddy Wiesengrund sagen: „Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.“

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    • Hallo Bertram, eine Partei ist eine Gruppe von Menschen. Diese kann nur aus und mit diesen bestehen. Dieser dadurch, wie ich finde, valide Aspekt ist aber nur einer von vielen, die ich in meiner Begründung für den Austritt genannt habe, weitere sind dem Text zu entnehmen.

      Ich stehe ganz einfach nicht mehr zu dieser Partei. Ich stehe nicht mehr davor, nicht mehr dahinter. Ich möchte nicht mehr direkt(!) in Verbindung gebracht werden (ohne die bisherige Mitgliedschaft zu verleugnen). Ich konnte sie seit langem nicht mehr vertreten/verteidigen/für sie sprechen. Es war nur noch eine Qual. Wir haben uns quasi „auseinandergelebt“. Das betrifft ausdrücklich nicht die Bielefelder Ebene und die hiesigen (restlichen) ProtagonistInnen. Und ich hoffe, dass ich das deutlich machte, zumindest habe ich respektvolles Verständnis für diese Entscheidung hier bekommen. Es wäre bestimmt oberflächlich geräuschloser und einfacher gewesen, wenn ich einfach „Papier“-Mitglied geblieben wäre. So bin ich aber nicht.

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  2. „Das Label Piraten ist verbrannt“, … Marina Weisband 2016
    Aber einige Piraten Idee haben Kurzzeitig abgefärbt, wenigstens etwas.
    Freie Diskussionen werden in der Gesellschaft immer weniger möglich, immer mehr leben in Ihrer
    Blase und alles was auch nur Anzeichen eines ? stellt, wird abgestempelt.
    Das wir uns allen um die Ohren fliegen.
    Diskussion ist auch Respekt vor der Meinung andere !
    „Leben und leben lassen“
    Es wird eine neue Partei gebraucht, mit Wissenschaftlichen Fakten und ohne Angst sich
    durch eine Thema ins Abseits stellen zu lassen, mit einer freien gleichberechtigten Diskusions-Kultur
    Mit einer Modernen Basis Abstimmung, „Block Chain“ Verifikation – die Zeit ist reif.
    „des Teufels Advokat sein“ bedeutet noch nicht der gleichen Meinung zu sein, nun ein Thema
    in die Diskussion zu bringen – verschiedenen Sichtweisen aufzuzeigen darf keine Todsünde
    sein.
    Gleichberechtigung aller Menschen untereinander, solte die Basis jeder Partei sein !
    Freies Denken für frei Menschen – wird ersetzt durch Mainstrean, Basen und …………..storm
    Es lebe die Vielfalt !

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  3. Hallo Michael,

    dein Austritt erfüllt mich mit Bedauern, denn ich habe eure gemeinsame Arbeit sehr geschätzt.

    Dein Statement ist für mich menschlich nachvollziehbar, denn es spricht voller Enttäuschung. Nimm bitte mit, dass auch große Vorbilder der Geschichte (Gandhi, Mutter Theresa, Martin Luther King) sich manchmal bestürzt über die Verhaltensweise der Menschen um sie herum geäußert haben.

    Aus meiner Sicht ist jeder Pirat gefordert, die Satzung zu verbessern. Insofern fehlt mir ein wenig die innere Logik. Wenn du mit den Bielefelder Piraten eine gute, konstruktive Diskussionskultur aufgebaut hast, so ist dies doch gerade auch dein Verdienst. Sie haben dich auf Listenplatz 1 gewählt aus Respekt und weil du Ihnen ein Vorbild sein solltest, und weil sie deine programmatischen Vorwchläge mehrheitlich unterstützen wollten.

    Warum ist das schlimm, wenn ihr aus eurer Sicht ein besserer Ortsverband seid, als viele andere oder gar der aktuelle LaVo/BuVo/Europaabgeordnete? – ich hatte immer gedacht, Piraten sind weniger hierarchisch als andere, und mehr basisdemokratisch, da wir als Partei des Internationalen Netzwerks der selbstbestimmten, freien Menschen (Internet) da eher noch als andere vom Gleichberechtigungsgrundsatz von Mann und Frau, Reich und Arm, Alt und Jung ausgehen. Das ist unsere Verbindung.

    Du sprichst strukturelle Probleme innerhalb der Piratenpartei an, die sich aus deiner Sicht verfestigt und zum Niedergang der Bewegung („Tod“) geführt haben. Ich kann diese Beobachtung nicht teilen, denn gerade die Piraten sind aus meiner Sicht eine internationale Bewegung, und von daher fast eher eine globale NGO, als eine deutsche Kleinst-Partei. Natürlich erkenne ich auch den Nationalstaatsgedanken als relevante Lebenshaltung an, auch wenn dieser einer anderen Fundamentalethik entspricht. Ich bin ja nicht Gott, und so möchte ich da nicht absolut urteilen.

    Wenn man eine Sache verbessern will, sp finde ich es am besten, man fängt bei sich selber an. Und so baue ich mein kleines Unternehmen (bzw. NGO) Dynamic Applications auf den Grundwerten von Transparenz, Schutz der Privatsphäre, und Partizipation auf. Bei allen Hürden des Alltags kann ich doch sagen, dass weit über 100.000 Menschen aus aller Welt schon meine kleinen Setups bzw. Apps heruntergeladen haben. Und über die Partizipation und die Zeit gesehen spannt sich, getrieben durch das Online Voting auf Twitter, nun das ganze Unternehmen auf. Und so freue ich ich auf die vielen ungelösten Probleme und die Arbeit der nächsten Jahre und bin dankbar, dass der Strom der Probleme sich auch nach 2 Jahren noch nicht abzeichnet jemals zu versiegen, denn auch wenn ich vielleicht nach westlichen Maßstäben inzwischen als App Developer ein relativ verarmter Mensch bin, so habe ich doch immer viel zu tun.

    Da könnte ich auch jetzt sagen, diese bösen Menschen da draußen, so viele nehmen die freien Setups mit, und wer zahlt zurück? – aber sie bezahlen ja auch mit ihren Tweets, und wenn der Schwarm der intelligenten Menschen mir nun mal lieber bei der Expansion hilft, was soll ich nun darüber schimpfen? – so freue ich mich über jede Anfrage und sehe die Kundenzufriedenheit als unser höchstes Gebot. Und auf meinem Smartphone, da spende ich ja auch nicht für jede App.

    Und so wünsche ich dir nun auch weiter viel, viel Freude an deiner Arbeit, denn du bist ein verantwortungsvoller Politiker. Deine Entscheidung erfüllt mich mit Bedauern, und doch respektiere ich deinen Wunsch nach mehr Unabhängigkeit und danke dir sehr für die viele engagierte, gute Arbeit.

    Bleib uns in Gedanken verbunden.

    Gruß Martin Bernhardt
    Gründer

    http://www.dynamic-applications.com

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