Urbane Seilbahnen – Eine realistische Ergänzung zum ÖPNV?

Überall wird über die Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs (MIV)  gesprochen und den Ausbau des offentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Dafür gibt es verschiedene Gründe:

Aktuell sind es insbesondere Klimaschutzbelange, die als Argument ins Feld geführt werden.

Ein wichtiger Grund ist aber eben auch, dass die Straßensysteme in den Städten schlicht und ergreifend nicht mehr Fahrzeuge aufnehmen können. Um das mal an Zahlen deutlich zu machen: Im Jahr 1965 waren in Bielefeld rund 42.000 Kraftfahrzeuge zugelassen, aktuell sind es rund 215.000. Hinzu kommen täglich noch über 80.000 Einpendler*innen. Auch wenn man berücksichtigt, dass Bielefeld nach der Reform 1973 natürlich flächenmässig größer geworden ist und die Zahlen nicht 1:1 vergleichbar sind, dürfte deutlich sein, das der Zuwachs beträchtlich ist.

Und die Kernstadt ist eben nicht größer geworden. Im Prinzip sehen die Straßenräume noch genau so aus, wie im Jahr 1600 (Ja, nach den Zerstörungen im 2. Weltkrieg wurden durchaus Änderungen vorgenommen).

Bielefeld 1600

Wenn jetzt also der faktisch begrenzte Straßenraum neu aufgeteilt werden wird (Mehr Platz für Fahrräder, Fußgänger, auch Busse und Straßenbahnen), dann steht noch weniger Platz für den MIV zur Verfügung. Invasive Maßnahmen zur Erweiterung der Fläche für Autos, wie der Ostwestfalen-Damm es ist (Dafür wurden 120 Häuser abgerissen), sind glücklicherweise derzeit undenkbar.

Bielefeld wächst, die Verkehrsbedarfe steigen. Wie können wir den Massentransport organisieren? Das Stadtbahnnetz soll natürlich ausgebaut werden. Das ist aber durchaus teuer und langwierig in der Ausführung. Die Verlängerung der Linie 1 wird wohl erst in 15 Jahren befahrbar sein.

Ein wichtiger Strang ist die Strecke von der City zur Universität. Mit der Einrichtung der medizinischen Fakultät steigt die Zahl der Studierenden erneut, die Fachhochschule möchte ausbauen, auf dem Gelände „Campus Nord“ werden möglicherweise Institute, Büros und Häuser und Wohnungen gebaut.

Die Linie 4 ist an der Kapazitätsgrenze, ein sinnhafter Lückenschluß zur Linie 3, um eine Art zweiseitg befahrene Ringbahn zu errichten, in weiter Ferne.

Querverkehre (z.B. Sieker-Brackwede) zwischen den Stadtteilen sind in Bielefeld ebenfalls mangelhaft. Ein natürliches Hindernis für so etwas ist auch der Teutoburger Wald, der überwunden werden muss oder gar untertunnelt. Letzteres ist finanziell aber praktisch nicht machbar.

Wir wollen für die Einpendler*innen neue Park+Ride-Stationen aufbauen, die allerdings auch an das ÖPNV-Netz angebunden werden müssen. Und wie gesagt: Der Stadtbahnausbau dauert ewig, Busse sind sehr teuer, da in jedem Bus ein*e Fahrer*in sitzt.

Eine alternative Möglichkeit wäre eine urbane Seilbahn. Weltweit gibt es viele Projekte, die vergleichsweise schnell und kostengünstig umgesetzt wurden.

Im letzten Ratsantrag „Attraktivität des ÖPNV stärken, Verkehrswende umsetzen!“ haben wir von der Wähler*innengemeinschaft Lokaldemokratie in Bielefeld – LIB das Thema „Seilbahn“ als einen von mehreren Punkten (bei Punkt 3) zur Prüfung alternativer Ergänzungen hineingeschrieben:

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Ob eine Seilbahn eine realistische Möglichkeit sein kann, habe ich mir am 23.10.2019 einmal in Berlin angeschaut. Eine Mitarbeiterin (Frau Terruli, Sprecherin der Leitner Seilbahn Berlin GmbH) der Hersteller- und Betreiberfirma war so freundlich und hat mich kenntnisreich durch die Anlagen geführt und ich konnte einen ersten direkten Eindruck und Erfahrungen gewinnen.

Im Rahmen der Internationalen Gartenausstellung IGA 2017 wurde die Seilbahn zur Erschließung errichtet. Die von März bis September 2016 erbaute und am 13. April 2017 eröffnete Gondelbahn ist 1,5 Kilometer lang und führt in einer fünfminütigen Fahrt von der Talstation Kienbergpark (43,2 m ü. NHN) am U-Bahnhof Kienberg (Gärten der Welt) über die Mittelstation Wolkenhain (102,2 m ü. NHN) zur Bergstation Gärten der Welt (63,2 m ü. NHN) am Blumberger Damm, nahe dem dortigen Eingang. Die Anlage kann in jede Richtung 3000 Fahrgäste pro Stunde transportieren, wobei 64 Kabinen jeweils zehn Personen aufnehmen können. Die Kabinen haben hochklappbare Bänke, so dass auch Fahrräder, Kinderwagen oder Rollstühle transportiert werden können. Es gibt darüber hinaus einige Kabinen, die für große Elektrorollstühle oder andere größere Lasten  geeignet sind.

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An der Talstation

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Talstation Kienbergpark

Nach der vorübergehenden Einstellung des Betriebs mit dem Ende der Gartenschau am 15. Oktober 2017 wurde dieser am 1. Dezember wieder aufgenommen.Die Seilbahn soll für zunächst drei Jahre mit Option auf Verlängerung weiter betrieben werden. Der Betrieb erfolgt durch die Leitner Seilbahn Berlin GmbH in Abstimmung mit dem Berlin-eigenen Unternehmen Grün Berlin. Die regulären Fahrpreise der Seilbahn für Erwachsene betragen 6,50 Euro.

Aktuell überlegen die Berliner Verkehrsbetriebe, die Seilbahn in den Nahverkehrsplan aufzunehmen, so dass diese mit regulären ÖPNV-Tickets zu nutzen wäre.

 

Die Seilbahn verbindet die beiden Stadtteile Marzahn und Hellersdorf und wurde mit  der U-Bahnstation Kienbaumpark verknüpft. An den Stationen werden die Gondeln ein- bzw. ausgehängt und langsam vorbeigeführt, so dass ein bequemer und sicherer Einstieg möglich ist. Die Mitarbeiter*innen können die Geschwindigkeit auch auf Null reduzieren, falls notwendig.

Ab einer bestimmten Windstärke oder Gewitter wird der Betrieb aus Sicherheitsgründen eingestellt. Die Berliner Seilbahn ist eine Einseilbahn, es gibt, je nach Bedingungen, auch Zweiseil- oder Dreiseilbahnen, die eine erhöhte Sicherheit gewährleisten und auch größere Gondeln ermöglichen. Statistisch gehören Seilbahnen zu den sichersten Verkehrsmitteln. Zugegeben: Als jemand, der ein wenig mit Höhenangst zu kämpfen hat, sind Statistiken nicht unbedingt eine Hilfe. 🙂

Der Antrieb ist elektrisch, insofern potentiell umweltfreundlich (wenn man den „richtigen“ Strom bezieht“), und erstaunlich leise. Es gab im Vorfeld Bedenken von Anwohnern, die aber unbegründet waren. Jede Straßenbahn ist lauter. Hier mal ein Video vom und direkt beim Antriebssystem, man konnte sich dabei durchaus noch unterhalten, während der Fahrt (in der Kabine) ist das wirklich leise:

Der Bau der 1,5 Kilometer Seilbahn in Berlin hat 14 Millionen Euro gekostet und dauerte unter einem Jahr.

In Deutschland werden derzeit verschiedene Projekte zum Beispiel in Bayern (u.a. München), Köln und Bremen geprüft. In Wuppertal wurde ein Seilbahn-Projekt bei einem Bürgerentscheid abgelehnt. Weltweit gibt es urbane Seilbahnen zum Beispiel in Ankara, Tiflis, New York, La Paz oder Medellin und vielen mehr. Das funktioniert also nachweislich.

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Städtische Seilbahn in Ankara (Türkei), seit 2014

Ob eine Seilbahn eine ergänzende ÖPNV-Lösung für Bielefeld sein kann, das weiß ich nicht. Man müsste (und sollte) das intensiv prüfen. Es gibt ja auch durchaus berechtigte kritische Fragestellungen: Soll das nur gemacht werden, damit der Autoverkehr mehr Platz hat? Werden private Grundstücke beeinträchtigt? Kann man mir dann in den Garten oder in auf den Balkon gucken? Bei aller Kritik sollte man sich meiner Ansicht nach aber nicht bereits im Vorfeld ablehnend einbunkern. Auch in Bielefeld gab es aufgrund des einen Wortes im Antrag (siehe oben) direkt geradezu hysterische Reaktionen, die einfach nur von Fortschrittsfeindlichkeit zeugen. Ich halte urbane Seilbahnen für eine echt spannende Ergänzung,  eine möglicherweise attraktive Lösung für Verkehrsprobleme, gerade auch im Hinblick auf die Bielefelder Topographie mit dem Teuto in der Mitte.

Die Wähler*innengemeinschaft Lokaldemokratie in Bielefeld – LIB wird versuchen, im ersten Jahresdrittel 2020 eine öffentliche Veranstaltung dazu zu organisieren. Wer rechtzeitig darüber informiert werden möchte, meldet sich einfach beim Newsletter an: https://www.lokaldemokratie-in-bielefeld.de/newsletter/

Informationen / Verlinkungen:

Im Seilbahnbusiness existiert weltweit praktisch leider nur ein Duopol: Die Doppelmayr/Garaventa-Gruppe und die Leitner-Gruppe dominieren rund 90 % des Weltmarkts. In Berlin wird die Seilbahn von der Leitner-Gruppe betrieben.

 

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