In der Ratssitzung am 22. April 2021 habe ich einen Antrag mit dem Titel „Strategie aus dem Dauerlockdown – Bielefeld wird Modellstadt für #NoCovid“ gestellt. Dieser sollte ursprünglich direkt abgelehnt werden, nun ist er erst einmal in eine Sondersitzung von Sozial- und Gesundheitsausschuss, Hauptausschuss und Jugendhilfeausschuss am 11. Mai 2021 vertagt. Hurra.
Natürlich ist es so, dass speziell die #NoCovid-Strategie grundsätzlich auf ein einheitliches europäisches Handeln zielt. Das ist auch sinnvoll. Aber machen wir uns nichts vor: Es wird keine europäische Lösung geben. Wie so oft bin ich der festen Überzeugung, dass wirkliche Veränderung auch von den „unteren“ Ebenen, den Städten und Gemeinden ausgehen kann. Wir können vorangehen, wir können Beispiele geben. Die geforderte Strategie kann lokal oder regional umgesetzt werden, wie genau sie aussieht und auf die lokale Ebene funktionsfähig angepasst wird, dass sollen Fachleute herausfinden. Deshalb findet man im Antrag auch die Zusammenarbeit mit der Universität Bielefeld (und das können natürlich auch andere Hochschulen sein: wichtig ist die wissenschaftliche Expertise). Es geht um eine „Niedriginzidenzstrategie“, die angelehnt an bisherige Konzepte sein kann, man muss das Rad keineswegs neu erfinden.
Die Koalition (SPD, Linke, Grüne) hat einen eigenen Gegenantrag eingebracht, unserer sollte abgelehnt werden. Der Koalitionsantrag verhält sich noch zu einigen Themen mehr, der entsprechende Punkt 1 des Antrages bewirkt jedoch exakt gar nichts. Der gesamte Antrag enthält im Wesentlichen Appelle, aber kaum konkrete Handlungsaufforderungen der Politik, die die Verwaltung umsetzen soll. Aber macht euch selbst ein Bild, hier der Antrag der Koalition: https://anwendungen.bielefeld.de/bi/vo0050.asp?__kvonr=32513
Wenn ihr den Antrag unterstützt, dann meldet euch doch einfach mal freundlich bei SPD, Linken und Grünen (Oder auch den anderen Parteien): Ruft sie an, schreibt denen eine Mail, kommentiert auf ihren Social Media Profilen. Oder schreibt Leserbriefe an Westfalen-Blatt, Neue Westfälische, Radio Bielefeld oder den WDR Bielefeld. Und wenn ihr den Antrag nicht gut findet, oder Fragen habt: Kommentiert hier drunter, ansonsten könnt ihr mich auf folgenden Wegen erreichen: Kontakt
Und hier der Antrag der Wähler*innengemeinschaft Lokaldemokratie in Bielefeld:
Hier noch die Links aus dem Antrag zum Anklicken:
Quellen:
[1] Cosmo-Studie: https://projekte.uni-erfurt.de/cosmo2020/web/summary/33/
No-Covid-Strategie: https://www.ifo.de/publikationen/2021/monographie-autorenschaft/proaktive-zielsetzung-bekaempfung-sars-cov-2-handlungsoptionen
Ärzteblatt zu NoCovid: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/121055/No-COVID-Initiative-Konzept-fuer-gruene-Zonen
Ärztezeitung zu NoCovid: https://www.aerztezeitung.de/Politik/No-COVID-als-Ausweg-aus-dem-Stotter-Lockdown-416728.html
Priesemann, Viola, et al. „Calling for pan-European commitment for rapid and sustained reduction in SARS-CoV-2 infections.“The Lancet397.10269(2021): 92-93. Onlineverfügbar: https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(20)32625-8/fulltext
Und hier meine Rede dazu:
Der Kern des Antrages der Lokaldemokratie in Bielefeld ist die Forderung nach einer Strategie zur Eindämmung der Pandemie.
Die haben wir nämlich bisher nicht. Es gab und gibt auf allen politischen Ebenen eine Überfokussierung von verschiedenen kleinteiligen Taktiken (Schulen zu bei 150, 165 oder 200? Ausgangssperre ab 20, 21 oder 22 Uhr?, Maske am Hauptbahnhof, nicht an der Feilenstrasse aber wieder in der Bahnhofstrasse aber auch das nur ab 6 bzw. ab 8 Uhr, Click & Meet, Click & Collect, Test & Click & Meet und so weiter). Das konkrete strategische Ziel ist aber nie wirklich definiert worden und so können diese taktischen Maßnahmen nicht zielführend sein und wirken eher hilflos: Weil sie kein definiertes, nachhaltiges strategisches Ziel hatten.
Viele Maßnahmen wurden beschlossen, um kurzfristig in dem ein oder anderen Bereich für kurzfristige vermeintliche Erleichterungen zu sorgen. Auf der kommunalen Ebene ist ein Beispiel die Entscheidung gewesen, zu einem Zeitpunkt der guten aber eben nicht sehr guten Pandemielage in Bielefeld den Handel wieder zu öffnen. Obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits klar war, dass die Zahlen sich bundesweit rasant verschlechtern. Und nun musste sukzessive wieder alles schließen. Das hat dem Handel nicht gutgetan. Im Gegenteil. Mich erinnert das an das Marshmallow-Experiment, welches in diesem Fall nicht bestanden wurde. Ergebnis: Es gibt aktuell wieder einmal keine Perspektive.
Ohne eine Strategie mit langfristigem Ziel trifft man keine guten taktischen Entscheidungen.
Wir brauchen eine Senkung des Infektionsgeschehens auf Werte von verschiedenen Parametern, die garantiert eine zuverlässige Kontaktnachverfolgung durch das Gesundheitsamt ermöglichen. Wir brauchen dann ggf. schnelle, harte und kurze Maßnahmen, um Verschlechterungen sofort zu bekämpfen.
Nur das ist ein Weg aus dem quälenden und zermürbenden halbgaren Dauerlockdown, nur das bietet echte Perspektiven
Wir brauchen eine Niedriginzidenz-Strategie zum Schutz der Bevölkerung vor den gesundheitlichen Gefahren der Pandemie und wir brauchen auch echte Perspektiven für die Kultur, für den Handel, für die Schüler*innen und ihre Eltern und für die Gastronomie. Für alle Menschen.
Bielefeld kann Vorreiter sein, wir können Modellstadt sein für eine nachhaltige, wissenschaftsbasierte Pandemiebekämpfung. Wir werden noch lange mit der Pandemie leben müssen, die Konzentration nur auf Impfungen wird nicht ausreichen. Das hat unter anderem das Beispiel Chile bewiesen, das eine der weltweit höchsten Impfquoten hat und das dennoch wieder in einen harten Lockdown gehen mußte, weil sie ohne Strategie zu schnell zu viel gelockert haben.
Dem Antrag der Koalition kann ich bei den Punkten 2-7 zustimmen. Punkt 1 jedoch ist viel zu unkonkret. Der bewirkt gar nichts, außer dass es einen leisen Applaus für die Verwaltung gibt. Ich weiß von vielen Ratsmitgliedern, dass sie eine No-Covid-Strategie befürworten, einige sogar eine Zero-Covid-Strategie, die mir persönlich zu überfrachtet ist mit Ideologie.
Liebe Kolleg*innen: Bitte lehnen Sie diese strategische Entscheidung nicht einfach ab: wenn Sie dem Antrag nicht einfach zustimmen wollen, dann lassen Sie uns in einer Sitzungsunterbrechung eine gemeinsame Formulierung finden; mit dem Ziel, eine Niedriginzidenzstrategie umzusetzen.
Habt den Mut wirklich etwas zu tun! Dafür wurden wir gewählt.
Nachtrag:
Hier noch ein paar Links zur Information. In einigen Ländern wird erfolgreich bei Bedarf mit lokalen schnellen, harten und kurzen(!) Lockdowns gearbeitet, nachdem das Infektionsgeschehen auf sehr niedrige Werte gesenkt wurde. Mit der Strategie haben sich schon viele befasst.
RND: „Studie: No-Covid-Länder haben ihre Wirtschaft am besten geschützt“: https://www.rnd.de/wirtschaft/studie-no-covid-lander-haben-ihre-wirtschaft-am-besten-geschutzt-I6TA2VIASZHTBFLFRPOT4U5DM4.html
Focus: „RKI-Forscher warnt vor Notbremse: „Betriebsanleitung für erfolgreichen Dauer-Lockdown“. Brockmann gehört zur Initiative „No Covid„, einer Gruppe von 14 renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um die Virologin Melanie Brinkmann, den Intensivmediziner Michael Hallekvon und den Ökonom und ifo-Präsident Clemens Fuest.“ https://www.focus.de/gesundheit/coronavirus/dirk-brockmann-rki-forscher-kritisiert-notbremse-betriebsanleitung-fuer-erfolgreichen-dauer-lockdown_id_13199594.html
Bayerischer Rundfunk „Mit „No-Covid“ raus aus dem Lockdown“ https://www.br.de/nachrichten/wissen/mit-no-covid-raus-aus-dem-lockdown,SMAH4mE
Freie Presse: „Sachsens Grüne für „No Covid“-Strategie: Plädoyer für harten Lockdown“ https://www.freiepresse.de/nachrichten/sachsen/sachsens-gruene-fuer-no-covid-strategie-plaedoyer-fuer-harten-lockdown-artikel11461346
Tagesspiegel: „So schützt Australien die gesamte Bevölkerung gegen das Coronavirus“ https://interaktiv.tagesspiegel.de/lab/ein-fall-totale-abriegelung-so-schuetzt-australien-die-gesamte-bevoelkerung-gegen-das-coronavirus/