Die Ratssitzung am 12.11.2020

Am Donnerstag, den 12.11.2020, fand in der Stadthalle die konstituierende Ratssitzung der Ratswahlperiode 2020-2025 statt. Hier die komplette Tagesordnung: https://anwendungen.bielefeld.de/bi/si0057.asp?__ksinr=6512

Diese Ratssitzung war eher zeremoniell geprägt, politisch-inhaltliche Debatten gab es naturgemäß kaum. Zu einigen Tagesordnungspunkten möchte ich einen detaillierteren Bericht geben:

Inhalt:

  • TOP 4 und 5: Stellvertretungen des Oberbürgermeisters
  • TOP 7.1 – 7.6 Dringlichkeitsentscheidungen
  • TOP 8 Kombibad Jöllenbeck
  • TOP 9 Wahlprüfungsausschuss
  • TOP 10 Änderung der Geschäftsordnung des Rates der Stadt Bielefeld

TOP 4 und 5: Stellvertretungen des Oberbürgermeisters

  • Bisher gab es zwei Stellvertreter*innen
  • Jetzt gibt es drei Stellvertreter*innen
  • Ich bin dagegen, weil kein Bedarf besteht und das 35.000€ zusätzlich kostet

Der Rat der Stadt Bielefeld wählt für die Stellvertretung des Oberbürgermeisters Stellvertreter*innen, die repräsentative Aufgaben wahrnehmen und manchmal (sehr selten) die Sitzungsleitung im Rat übernehmen.

Bisher sind wir immer mit zwei Stellvertretungen ausgekommen, in der abgelaufenen Wahlperiode waren das Karin Schrader von der SPD als erste Bürgermeisterin und Andreas Rüther von der CDU als zweiter Bürgermeister. Traditionell werden die Stellvertretungen von den größten Fraktionen gestellt, das ist auch unkritisch und parlamentarische Tradition, wie ich finde. Die Grünen haben bei der letzten Wahl ein paar Prozente hinzugewonnen, daher wollen die jetzt auch eine Stellvertretung haben. Und das ist meiner Ansicht nach auch der einzige Grund, weshalb die Zahl der Stellvertreter*innen nun auf drei anwachsen soll – die Grünen haben das in ihrem Redebeitrag zum TOP auch exakt so bestätigt und keine weiteren Argumente benannt.

Gemeinsam mit der Ratsgruppe der PARTEI habe ich einen Antrag gestellt, dass die Zahl der Stellvertreter*innen bei zwei bleiben soll.

Warum?

Ich sehe, insbesondere mit Blick auf die derzeitigen Kontaktbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie, keine akute Notwendigkeit für eine zusätzliche Stellvertretung. Die Stellvertretungen haben ausschließlich repräsentative Aufgaben und repräsentative Aufgaben gibt es derzeit ganz einfach nicht.

Die Aufwandsentschädigung für die Stellvertretungen wird allerdings jeden Monat bezahlt. Zur Erklärung: Diese Tätigkeit ist ehrenamtlich, daher gibt es kein Gehalt, sondern eine Aufwandsentschädigung. Diese Aufwandsentschädigung beträgt bei der ersten Stellvertretung das dreifache der pauschalen Aufwandsentschädigung für Ratsmitglieder. Diese Pauschale beträgt seit diesem dem 01.11.2020 519,50€ pro Monat. Es kommen hinzu: 1558,50 € monatlich. Der erste Bürgermeister erhält also monatlich eine Aufwandsentschädigung in Höhe von insgesamt 2.078€.

Die zweite und dritte Stellvertretung erhalten jeweils den anderthalbfachen Satz zusätzlich. Also monatlich 779,25 €, das heißt insgesamt 1.298,75€. Für die dritte Stellvertretung werden also bis zum Ende der Wahlperiode ca. 35.000€ zusätzlich aus dem städtischen Haushalt bezahlt, das ist keine riesige Summe beim Gesamtbudget von über 1 Milliarde, aber auch nicht nichts, oftmals streiten wir uns um genau solche Summen. Wenn man zu der Auffassung gelangt, dass die dritte Stellvertretung sachlich nicht notwendig ist, so wie ich, dann muss man dagegen stimmen.

Ich möchte im Übrigen nicht falsch verstanden werden: Da steckt jeweils oft viel Arbeit dahinter und die Summen an sich sind völlig gerechtfertigt. Ich bin ein Verfechter von auskömmlicher und guter Bezahlung – für die Ratsarbeit sollten meiner Ansicht nach eher mehr Gelder zur Verfügung gestellt werden, damit eine professionelle Arbeit möglich ist. Aber: die Monstranz der Ehrenamtlichkeit würde ich angesichts der kumulierten Summen nicht allzu laut klingelnd vor mir hertragen, viele Ehrenamtler in anderen gesellschaftlichen Bereichen machen das für gar kein Geld oder einen deutlich geringeren Obolus.

Der einzige, der ein (vermeintliches) Sach-Argument für eine dritte Stellvertretung vorbrachte, war kurioserweise Ralf Nettelstroth von der CDU, obwohl die Grünen ja unbedingt eine Stellvertretung für sich reklamierten. Er meinte, dass es jährlich 2.500 Termine gäbe, die die Stellvertretungen übernehmen würden. Das glaube ich nicht, aber glauben heißt nicht wissen, daher werde ich zur nächsten Ratssitzung eine Anfrage stellen, in der ich fragen werde, wie viele Termine die Stellvertretungen in den Jahren 2014-2020 absolviert haben. Diese Anfrage werde ich jährlich wiederholen. Dann haben wir valide Zahlen, über die wir diskutieren können. Ich halte es für falsch, 35.000 Euro auszugeben, nur damit eine Partei machtpolitische Spielchen spielen kann. Wenn die Termin-Zahlen ergeben, dass eine dritte Stellvertretung notwendig ist, dann ist das so.

Ich bleibe dabei: Die dritte Stellvertretung ist in jedem Fall ganz aktuell unnötig, da es derzeit praktisch keine Repräsentationstermine gibt. Repräsentative Stellvertretungen können darüber hinaus auch von den hauptamtlichen Dezernenten oder auch den Amtsleitungen übernommen werden, die wir sowieso bezahlen.

Mein konstruktiver Gegenvorschlag in meiner Rede war, dass wir eine jährliche Rotation einführen sollten. Wir haben im Rat viele fähige Menschen, die diese Aufgabe erfüllen könnten. Dann könnte zum Beispiel auch Frau Wahl-Schwentker von der FDP oder Frau Stelze von den Linken (oder wer auch immer) ein Jahr lang diese Aufgabe übernehmen. Es ist dafür keine besondere Qualifikation notwendig, außer eine gewisse Souveränität inklusive rhetorischer Fähigkeiten und Zuverlässigkeit. Die Stellvertretungen des Oberbürgermeisters sind keine politischen Ämter, auch wenn die Grünen das glauben.

Nachdem es jedoch eine klare Mehrheit für drei Stellvertretungen gab, habe ich dem Wahlvorschlag aus demokratischen Grundsätzen selbstverständlich zugestimmt. Neuer erster Bürgermeister ist nun Andreas Rüther (CDU), zweite Bürgermeisterin Karin Schrader (SPD) und dritte Bürgermeisterin Christina Osei (Grüne). Alle drei werden das hervorragend machen – wenn sie denn mal eine Aufgabe bekommen.

TOP 7.1 – 7.6 Dringlichkeitsentscheidungen

Zwischen den Ratssitzungen kann es passieren, dass Entscheidungen getroffen werden müssen. Das wird dann vom Oberbürgermeister zusammen mit zwei Ratsmitgliedern vorgenommen. Üblicherweise sind das Vertreter*innen der beiden größten Fraktionen. Diese Dringlichkeitsentscheidungen müssen später formell vom Rat bestätigt werden. Bei diesen sah ich keine besonderen Knackpunkte. Es gab bis auf einige Enthaltungen auch keine Gegenstimmen.

TOP 8 Kombibad Jöllenbeck

Hier ging es um Fördergelder. Die versuchen wir natürlich zu bekommen.

TOP 9 Wahlprüfungsausschuss

Es ist vorgeschrieben, dass ein Wahlprüfungsausschuss eingesetzt wird. Im Wahlbezirk 5 muss auch über eine Neuwahl entscheiden werden, es gab Unregelmäßigkeiten (Ein oder zwei Wahllokale öffneten erst eine halbe Stunde zu spät, dass Ergebnis im Wahlbezirk war knapp). Dadurch, dass sowohl eine Vertreterin der Linken als auch ich für den Wahlvorschlag der PARTEI stimmten und niemand zusätzlich (außer den beiden selber) für den Wahlvorschlag der AfD, ist die AfD nicht im Ausschuss vertreten.

TOP 10 Änderung der Geschäftsordnung des Rates der Stadt Bielefeld

Das war der Tagesordnungspunkt, der am kontroversesten debattiert wurde.

  • Die Geschäftsordnung wurde geändert, um die AfD einzuschränken
  • Dadurch wurden alle kleineren Parteien benachteiligt, also über 12% des Rates
  • Die kleineren Parteien wurden nicht mit in die Beratung eingebunden und haben die Vorlage erst 24 Stunden vor der Sitzung bekommen
  • Die Einschränkungen für alle kleineren Parteien wurden nur von CDU, SPD, Grüne, FDP und den Linken verhandelt und beschlossen.

Wie in jeder Organisation gibt es natürlich auch für den Stadtrat eine Geschäftsordnung, damit man einen geregelten Ablauf hat. In einer Arbeitsgruppe, die aus Vertreter*innen der Fraktionen bestand, wurde eine Änderung beraten, damit man auf mögliche Störversuche der nun im Rat vertretenen AfD vorbereitet ist und die Arbeitsfähigkeit gewährleistet bleibt. Die AfD und andere ähnliche Parteien, wie zum Beispiel NPD, Die Rechte, Pro NRW oder der III. Weg sind zum Teil schon seit längerem in anderen Räten in NRW oder bundesweit vertreten. Dort hat sich gezeigt, dass sich diese Parteien in aller Regel destruktiv und störend verhalten.

Hier die Synopse der Änderungen der Geschäftsordnung: https://anwendungen.bielefeld.de/bi/getfile.asp?id=693092&type=do

Viele Änderungen sind okay. Es geht sehr oft um eine Verschärfung von möglichen Ordnungsmaßnahmen. Damit werden den Ausschussvorsitzenden klare Möglichkeiten an die Hand gegeben. In einigen Fällen wurde sprachlich nur präzisiert und über andere Dinge könnte man diskutieren, wie zum Beispiel das „Medienverbot bei Reden“. Ich selber habe auch schon eine Tageszeitung von 1961 am Rednerpult dabeigehabt, um auf einen bestimmten Punkt hinzuweisen. Das alles ist aber nach meiner Einschätzung eher unkritisch. Positiv finde ich, dass Zwischenfragen nicht mehr auf die Redezeit der redenden Person angerechnet werden. Einige Punkte sind aber ein arroganter Frontalangriff der großen Parteien auf Minderheitenrechte der kleineren Parteien, wie ich finde.

Zu den Hintergründen:

Es gibt laut Gemeindeordnung NRW eine Drei-Klassen-Gesellschaft im Stadtrat. An der Spitze der Nahrungskette stehen die Fraktionen. Diese haben alle Rechte, bekommen am meisten Geld. Fraktionen bestehen (in Bielefeld) aus mindestens drei Ratsmitgliedern. Danach kommen die Ratsgruppen, die aus zwei Ratsmitgliedern bestehen. Aktuell sind das bei uns die PARTEI und die AfD. Ratsgruppen bekommen Geld, haben aber nicht alle Rechte. Am Ende stehen die Einzelvertreter*innen. Im aktuellen Rat sind das die Vertreter*innen von der BfB, der BIG, der Bürgernähe und auch ich, als Vertreter von Lokaldemokratie in Bielefeld – LiB bin Einzelvertreter. Wir bekommen kein Geld über die Pauschale als ehrenamtliches Ratsmitglied hinaus und haben nicht alle Rechte.

  • Fraktionen
    • Bekommen Geldmittel für Personal und Sachkosten (nach Größe der Fraktion, SPD/CDU ca. 250.000€ / Jahr)
    • Haben Stimmrecht in den Ausschüssen
    • Dürfen sachkundige Bürger*innen entsenden
    • Haben einen Sitz im Ältestenrat
    • Haben Initiativ-Antragsrecht
    • Sachkundige Bürger*innen bekommen 37,50€ Aufwandsentschädigung für jede Fraktionssitzung, an der sie teilnehmen.
  • Ratsgruppen
    • Bekommen Geldmittel, die 2/3 der rechnerisch kleinsten Fraktion entsprechen. Damit kann man Mitarbeiter*innen einstellen (halbe Stelle) und kann mit den Sachmitteln (20.000 €) zum Beispiel Anschaffungen machen oder Fortbildungen finanzieren.
    • Dürfen sachkundige Bürger*innen in den Ausschüssen einsetzen
    • Hatten bislang einen Sitz im Ältestenrat
    • Haben kein Initiativ-Antragsrecht
    • Sachkundige Bürger*innen bekommen keine Aufwandsentschädigung für Ratsgruppensitzungen.
  • Einzelvertreter*innen
    • Bekommen keinerlei Geldmittel, nur die pauschale Aufwandsentschädigung für Ratsmitglieder in Höhe von 519,50€ pro Monat
    • Dürfen bis zu fünf Ausschüsse beratend besetzen (ohne Stimmrecht)
    • Dürfen keine sachkundigen Bürger*innen entsenden
    • Sind nicht im Ältestenrat
    • Haben kein Initiativ-Antragsrecht

Sachkundige Bürger*innen sind Vertreter*innen der Fraktionen und Ratsgruppen in den Ausschüssen. Es ist zum Beispiel für eine kleine Fraktion mit vier Ratsmitgliedern (Linke) oder einer Ratsgruppe mit zwei Ratsmitgliedern (die PARTEI) praktisch unmöglich alle 15 Ausschüsse (und es gibt ja noch zusätzlich viele Arbeitsgruppen und Beiräte) mit Ratsmitgliedern zu besetzen, da der Arbeitsaufwand sehr hoch ist. Der Name „Sachkundige*r Bürger*in“ ist etwas irreführend, man muss dafür keinen „Sachkundenachweis“ erbringen, die Auswahl und Entsendung der Fraktionen und Gruppen reicht aus. Sachkunde im jeweiligen Themenfeld schadet natürlich nicht. Eine Fraktion besteht üblicherweise in der strengen Definition aus den jeweiligen Ratsmitgliedern, es wird dann eine erweiterte Fraktion mit den sachkundigen Bürger*innen gebildet. Beispiel: Die Ratsgruppe Bürgernähe/PIRATEN, die von 2015-2019 existierte, bestand aus zwei Ratsmitgliedern plus 14 sachkundigen Bürger*innen, so dass das gesamte Team aus 16 Personen bestand.

Der Ältestenrat ist ein Gremium, welches keine Beschlußrechte hat. Dort treffen sich die Fraktionen, die jeweils den Fraktionsvorsitz und die Geschäftsführung entsenden. Aufgabe des Ältestenrats ist es, den Bürgermeister in Fragen der Tagesordnung und des Gangs der Verhandlungen im Stadtrat zu beraten. Beide Punkte sind für die praktische Arbeit im Stadtrat und den Ausschüssen von großer Bedeutung (welcher Punkt zu welcher Zeit auf die Tagesordnung kommt, kann mitunter entscheidend sein!). Aus diesem Grunde ist hier eine sensible Abstimmung notwendig. Um dies möglichst zu gewährleisten, kommt dem Ältestenrat eine Art Mittlerfunktion zwischen Bürgermeister und Rat zu.

Nicht alle Mitglieder eines Ausschusses haben Stimmrecht. Dazu zählen die Einzelvertreter*innen im Stadtrat oder auch Vertreter*innen von Beiräten. Ausschüsse sollen spiegelbildlich die Mehrheiten im Rat wiedergeben. Da Ausschüsse kleiner als der Rat sind, kann es hier zu Unwuchten kommen. Im Stadtrat hat jedes Mitglied Stimmrecht.

Das Initiativ-Antragsrecht (In der Geschäftsordnung etwas gestelzt: „Vorschlag zur Tagesordnung“) heißt: Man bringt ein Thema in den Ausschuss oder in den Stadtrat mit einem Antrag ein. Somit setzt man politische Themen. Über die Anträge wird dann debattiert. So gibt es den politischen Willensbildungsprozess. Das Antragsrecht ist auch bislang immer eingeschränkt gewesen. Nur Fraktionen (oder ein Fünftel des Rates) dürfen einen Antrag stellen. Weder Ratsgruppen noch Einzelvertreter dürfen eigene Anträge stellen. Es ist lediglich zugelassen, dass man zu bestehenden Tagesordnungspunkten oder Anträgen einen Änderungs- oder Ergänzungsantrag stellen darf. Somit haben kleinere Parteien keine Möglichkeit, ein Thema nach Wahl auf die Tagesordnung und damit in die parlamentarische Öffentlichkeit zu bringen.

Anfragen werden an die Verwaltung gestellt. Man darf eine Frage und zwei Zusatzfragen stellen. Als Beispiel verlinke ich die Anfrage der CDU-Fraktion aus der Sitzung des Stadtrates vom 18.06.2020. Die CDU fragt hier nach der „Sicherstellung der Versorgung der bisher von „Alt und Jung Süd-West e. V.“ versorgten Hilfe- und Pflegebedürftigen“  https://anwendungen.bielefeld.de/bi/to0050.asp?__ktonr=182519 . Das ist ein Thema, welches eigentlich im Sozial- und Gesundheitsausschuss besprochen wird. Die CDU hat das in den Rat gezogen, weil sie das Thema in eine größere Öffentlichkeit bringen wollte. Sachlich könnte man das Thema auch bilateral mit dem zuständigen Dezernat klären. Wir sehen an diesem Beispiel die tatsächliche Nutzung des Instruments „Anfrage“: Öffentlichkeit erzeugen, ein Thema setzen, „Agendasetting“, ein Thema für sich „reklamieren“. Im Stadtrat werden Anfragen zu Beginn der Tagesordnung behandelt, also an sehr prominenter Stelle. Für den Tagesordnungspunkt „Anfragen“ sind 30 Minuten vorgesehen, damit sich das nicht zu sehr in die Länge zieht. Diese zeitliche Limitierung finde ich grundsätzlich in Ordnung. Zu den Anfragen durften bislang alle ein Statement abgeben. Wenn es passiert ist, dass bereits für die ersten Anfragen so viel Zeit aufgewendet werden musste, dass die 30 Minuten um waren, dann wurden nachfolgende Anfragen nicht mehr debattiert.

Bisher war es so geregelt, dass die Anfragen in der Reihenfolge der zeitlichen Einreichung behandelt wurden. Das ist auch eine Art sportliche Challenge gewesen. Aber in sich nachvollziehbar gerecht: Wenn zeitlich vorher von einer Fraktion, Gruppe oder einem/einer Einzelvertreter*in eine Anfrage gestellt wurde, dann wurde man dahinter eingruppiert. Eine 100%ige Gewissheit, dass die eigene Anfrage öffentlich debattiert wurde, gab es nicht, man konnte aber vor dem Stellen einer Anfrage im Büro des Rates nachfragen, ob schon etwas vorliegt und seine eigene Anfrage ggf. auf die nächste Sitzung verschieben, wenn man das für sinnhaft und machbar erachtet hat.

In der Zukunft gilt nicht mehr der Zeitpunkt des Eingangs der Anfrage im Büro des Rates. Die Anfragen werden nach Fraktionsgröße sortiert.

Was bedeutet das alles? Wo ist jetzt die Einschränkung für die kleinen Parteien?

Anfragen:

Beispiel: Ich stelle am 16.11.2020 eine Anfrage für die Ratssitzung am 10.12.2020. Bisher liegt noch keine weitere Anfrage für diese Ratssitzung im Büro des Rates vor. Bisher war es so, dass dann meine Anfrage als erstes beantwortet und debattiert wurde. Alle weiteren Anfragen wurden nach zeitlichem Eingang im Büro des Rates sortiert. In Zukunft ist es so, dass, wenn eine größere Gruppe oder Fraktion eine Anfrage stellt, diese sortiert nach Fraktions- bzw. Gruppengröße auf der Tagesordnung erscheint. Konkret: Ich stelle die Anfrage, wie oben beschrieben. Am 18.11.2020 reicht die AfD eine Anfrage ein. Am 19.11.2020 reicht die CDU eine Anfrage ein. Am 20.11.2020 reichen die Linken eine Anfrage ein. Am 21.11.2020 reicht die FDP eine Anfrage ein. Die neue Reihenfolge in der Tagesordnung:

  1. CDU
  2. FDP
  3. Linke
  4. AfD
  5. Lokaldemokratie (Gugat)

Zu jeder Anfrage antwortet die Verwaltung (max. 5 Minuten). Alle Fraktionen und Gruppen können ein Statement abgeben. Die Redezeit pro Statement von jeder Fraktion oder Gruppe ist auf drei Minuten begrenzt. Bei der CDU-Anfrage kann es also sein, dass alle ihre Redezeit ausnutzen (Verwaltung fünf Minuten, CDU, SPD, Grüne, FDP, Linke, AfD, PARTEI, je drei Minuten). Dann wären bereits 26 Minuten verstrichen. Es blieben also nur noch 4 Minuten für die restlichen Anfragen.

Alle anderen Anfragen werden dann nicht mehr öffentlich debattiert. Die Beantwortung der Anfragen erfolgt dann schriftlich mit der Niederschrift (Protokoll). Die Niederschrift kommt in aller Regel einige Wochen nach der Sitzung. Im konkreten beschriebenen Fall also etwa Mitte oder Ende Januar, man weiß es nicht genau. Wenn die Schriftführung länger krank ist, kann es auch länger dauern.

Das bedeutet: Die kleineren Parteien sind der Willkür – oder überspitzt formuliert: der Gnade – der größeren Parteien ausgeliefert. Nur, wenn diese nicht selber Anfragen stellen und nur, wenn diese nicht ihre volle Redezeit ausschöpfen, dann wird eine Anfrage einer kleineren Partei öffentlich debattiert. Wie oben erklärt: Als Ratsgruppe oder Einzelvertreter*in hat man kein Antragsrecht. Die Anfragen waren also das letzte verbliebene Mittel, um öffentlich ein Thema zu setzen. Und das ist meiner Ansicht nach wichtig für den demokratischen politischen Diskurs.

Auch die AfD kann eine meiner Anfragen demzufolge jederzeit ganz alleine durch eine einzige Anfrage aus der öffentlichen parlamentarischen Debatte verdrängen, wenn die Redezeit entsprechend von allen ausgeschöpft wird. Bei einer kontroversen Anfrage wird das auch gemacht werden.

Laut neuer Geschäftsordnung habe ich als Einzelvertreter im Übrigen nicht einmal das Recht, ein Statement zu einer Anfrage abzugeben (außer der eigenen), das dürfen nur Fraktionen und Gruppen.

Da die Intention dieser Geschäftsordnungsänderung war, zu verhindern, dass die AfD den Rat und die Ausschüsse mit Anfragen überschwemmt, wird genau das oben beschriebene passieren, denn exakt das war der Plan.

Mir wird Angst und Bange, was den politischen Diskurs im Rat und in den Ausschüssen angeht (denn die Regeln gelten auch in den Ausschüssen). Die kleineren Parteien werden nicht mehr durchdringen. Um mit seinen Themen in die Öffentlichkeit zu kommen, was natürlich das Ziel jeder Partei ist, bleibt nur noch die Möglichkeit von Pressemitteilungen oder Social-Media-Postings. Ein parlamentarischer Diskurs über Themen, die kleine Parteien setzen wollen, ist in Zukunft praktisch nicht mehr zuverlässig möglich. Das halte ich für fatal.

Ältestenrat:

Die Problematik ist einfach erklärt: Die großen Fraktionen wollten nicht, dass die AfD mit am Tisch sitzt. Daher wurden die Ratsgruppen grundsätzlich ausgeschlossen, was aktuell auch die PARTEI betrifft und im Laufe der Ratswahlperiode könnten weitere hinzukommen. Einzelvertreter*innen durften bisher auch nicht dabei sein. Ob das klug ist, dass 12,12% des Stadtrates nicht mit beraten dürften, sei dahingestellt. Am Beispiel des Geschehen bei der Änderung der Geschäftsordnung sehen wir, dass die großen Fraktionen im Endeffekt damit nur Chaos erzeugen.

Es gibt darüber hinaus ein technisches Problem: Der Ältestenrat tagt üblicherweise Montags 10 Tage vor einer Ratssitzung um 14 Uhr. Den Fraktionen liegt dann der Entwurf der Tagesordnung vor und sie können Anhand der Diskussion im Ältestenrat einschätzen, „wohin die Reise“ in der nächsten Sitzung geht. Die Gruppen und Einzelvertreter müssen darauf noch ein bis zwei Tage warten. Da in der Beratungsfolge Montagabends die Fraktions- und Gruppensitzungen stattfinden und auch die Einzelvertreter*innen mit ihren Teams (denn die sind nicht alleine) tagen, gibt es innerhalb des geordneten Ablaufes keine Möglichkeit, darauf zu reagieren, erst vier Tage vor der Ratssitzung kann die jeweilige Sitzung der Gruppen und Einzelvertreter*innenteams erreicht werden. Das ist ein erheblicher Nachteil.

Fazit:

Die kleineren Parteien bekamen die Änderung der Geschäftsordnung erst 24 Stunden und 40 Minuten vor der Ratssitzung. Es war keine geordnete interne sachgerechte Beratung möglich. An den Beratungen zur Änderung wurden wir nicht beteiligt oder auch nur vorab informiert. Einige Änderungen erfuhren die kleinen Parteien vorab aus der Zeitung. Mit uns hat niemand gesprochen. Das ist sehr unkollegial.

Solche „Closed Shops“ sind zudem selten zielführend: Wenn nur Männer am Tisch sitzen, dann fehlen die Bedürfnisse und Sichtweisen von Frauen in der Diskussion und wenn hier nur die großen Fraktionen am Tisch sitzen, dann fehlen die Bedürfnisse und Sichtweisen der kleinen Parteien in der Diskussion.

Gemeinsam mit der PARTEI habe ich folgenden Änderungsantrag eingebracht, nachdem eine Mail mit einem Gesprächswunsch unbeantwortet blieb und nachdem ein Antrag auf Vertagung abgelehnt wurde:

  • §2 (1) bleibt wie bisher bestehen: „Der Ältestenrat besteht aus der Oberbürgermeisterin/dem Oberbürgermeister (Vorsitz), den Fraktionsvorsitzenden und Gruppensprecherinnen und Gruppensprechern sowie den Geschäftsführerinnen und -führern der Fraktionen und Gruppen. Eine Stellvertretung ist zulässig.“
  • § 17 (3) bleibt wie bisher bestehen, ergänzt um die Einzelvertreter*innen und eine Limitierung der Anfragen: „Anfragen müssen kurzgefasst sein und dürfen nur eine konkrete Frage mit maximal zwei Zusatzfragen enthalten. Sie sollen eine kurze Beantwortung ermöglichen und dürfen keine Beurteilungen oder Wertungen enthalten. Pro Fraktion, Gruppe oder Einzelvertreter*in ist eine Anfrage pro Sitzung zulässig. Jede Fraktion und Gruppe, die nicht Fragestellerin ist, kann eine Zusatzfrage stellen.“
  • § 17 (4) Der letzte Satz der Neufassung wird geändert in „Die schriftliche Antwort soll als Tischvorlage in der gleichen Sitzung vorliegen“
  • § 17 (5) Ergänzung um die Einzelvertreter*innen: „Zu Anfragen und ihrer Beantwortung kann von jede*r Fraktion, Gruppe und Einzelvertreter*in und von der Fragestellerin/dem Fragesteller abschließend eine Stellungnahme abgegeben werden, die die Dauer von drei Minuten nicht überschreiten darf.“

Um die rechtsextremistische AfD zu bekämpfen, sollte man nicht zu Mitteln greifen, die diese selbst einführen würden, wenn sie die Mehrheit hätten. Mit dieser Änderung der Geschäftsordnung geben die großen Parteien der AfD vorauseilend (und sicherlich ungewollt) mehr Macht, als denen dadurch genommen wird.

Das war auf allen Ebenen ganz schlechte Politik der großen Parteien. Es wurde in der Sitzung zwar gesagt, dass man die Änderung evaluieren will und dann das ganze eventuell wieder rückgängig machen würde. Aber jetzt mal ehrlich…. So etwas wird niemals Rückgängig gemacht. Es gibt auch keine Kriterien für eine Evaluierung, es bleibt der Gnade der großen Parteien überlassen. Das war ein ganz schlechter Tag für die Demokratie.

Besonders bemerkenswert ist das Abstimmungsverhalten von folgenden Parteien aus folgenden Gründen:

  • FDP: Zwischen 2014 und 2020 waren die selber „nur“ eine Ratsgruppe. Sie haben sich immer sehr aufgeplustert, wenn es um ihre Rechte ging und haben zum Beispiel bemängelt, dass sie kein Antragsrecht haben. Das Mittel der Anfragen haben sie sehr intensiv genutzt. Jetzt sind sie Fraktion und kalt lächelnd schränken sie die Rechte von den kleineren Parteien ein. Aber das passt zum Bild der ehemals liberalen Partei, der es immer nur um den eigenen Vorteil geht. Demokratiedarwinismus at it´s best.
  • Linke: Unfassbar. Die Linken sind bundesweit in vielen Räten in ähnlicher Situation, wie die kleineren Parteien hier. Oftmals sind sie vor Gerichte gezogen, um gegen genau solche Dinge vorzugehen. Bigotterie pur und eine komplette Enttäuschung.
  • SPD und Grüne. Klar, „Minderheitenschutz“, „Partizipation“, „Inklusion“ wird oft gesäuselt. Kleinere Parteien interessieren die in Wirklichkeit eher weniger, sie wollten ja auch eine Sperrklausel einführen, womit sie krachend vor dem Verfassungsgericht gescheitert sind und im Landtag haben die 2016 großspurig ein „Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ eingebracht, was ausschließlich die großen Fraktionen bevorteilt.
  • CDU: Hier habe ich nichts anderes erwartet.

Presseberichte:

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