Meine Rede zum Antrag der CDU „Stärkung der Bundeswehr in der Stadtgesellschaft“ (TOP 5.2): https://anwendungen.bielefeld.de/bi/si0057.asp?__ksinr=6954

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleg*innen

Militärrituale in der Öffentlichkeit sind funktional für die Herstellung von Gehorsam und Korpsgeist in der Truppe und für die Akzeptanz militärischer Formen und Konfliktlösungsvorstellungen beim nicht-militärischen Rest der Gesellschaft. Das ist wissenschaftlicher Konsens. Das ist auch die Begründung für Militärrituale.

Es ist auch keineswegs so, dass es keine öffentlichen Rituale gäbe. 2009 (aktuellere Zahlen habe ich nicht gefunden) fanden über 180 öffentliche Gelöbnisse und 12 große Zapfenstreiche statt. 1.346 mal trat das Bundeswehr-Musikkorps auf. 98 andere militärische Zeremonien wurden inszeniert. Das alles geht auf den damaligen CDU-Verteidigungsminister Volker Rühe zurück, der Mitte der 90er eine Art „Gelöbnisoffensive“ startete. Statt Gelöbnisse auf dem Kasernengelände zu zelebrieren, sollten jährlich bis zu 500 Gelöbnisse im öffentlichen Raum abgehalten werden. Nur die Wehrmacht in Nazi-Deutschland hatte sich derart offensiv öffentlicher Gelöbnisse bedient, damals ausdrücklich mit dem Ziel, die Kriegsbereitschaft zu fördern. Wer eine Militarisierung der Öffentlichkeit fordert, muss sich, trotz vermeintlich guter Absichten und der Verwendung von Schlagworten wie „Demokratie!“, „Parlamentsarmee!“ und „Freiheit!“ fragen, was damit eben auch bewirkt wird.

Die aktuellen Ereignisse, der Angriffskrieg Russlands auf den souveränen Staat Ukraine rütteln an manchen Gewissheiten, schütteln den Boden des Friedens und der Freiheit, auf der wir seit vielen Jahrzehnten glücklicherweise stabil und sicher standen. Eine Debatte um die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und der NATO ist absolut nötig. Das Hinterfragen der eigenen – ganz persönlichen – Verteidigungsbereitschaft zieht sich angesichts des Beispiels des Widerstands der ukrainischen Bevölkerung gegen die Aggressoren aus Russland, Belarus und Tschetschenien sicherlich aktuell durch alle Familien. Zurecht. Wenn man nicht bereit dazu ist, Freiheit und Integrität zu verteidigen, dann ist man möglicherweise nicht frei und integer.

Gleichzeitig beobachte ich mit Sorge derzeit eine allgemeine Rhetorik, die immer militaristischer wird – ja sogar immer pathetischer und auch bellizistischer.

Ich bin kein Pazifist. Und dennoch verursacht mir die aktuelle gesamtgesellschaftliche Abwesenheit von Zweifeln in Sachen Krieg, große Bauchschmerzen.

Diese Ambivalenzen sollten in der aktuellen Lage nicht dazu missbraucht werden, die Gesellschaft noch weiter zu militarisieren. Sie müssen ausdiskutiert und nicht mit militärischen Ritualen befeuert werden.

Fangen wir stattdessen doch lieber an, die Feuerwehren, das THW, Pflegekräfte, Hilfsorganisationen und andere in die Öffentlichkeit zu bringen. Es ist kein Widerspruch, wenn man gleichzeitig die Bundeswehr stärkt, die deutschen Bündnisverpflichtungen ausbaut und bekräftigt und unserer Parlamentsarmee Wertschätzung ausspricht.

Das geht nämlich auch ohne, dass Gewalt normalisiert wird – selbst, wenn sie rechtsstaatlich legitimiert und auch gewollt ist.

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